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Interview mit Nicole Kopp über die Professionalisierung des Homeoffice.
Interview mit Nicole Kopp über die Professionalisierung des Homeoffice.

Homeoffice: Die Chancen der Digitalisierung nutzen

Seitdem Homeoffice keine Pflicht mehr ist, suchen Unternehmen die gute Balance zwischen Arbeiten im Büro und zu Hause. Als Spezialistin für die neue Arbeitswelt analysiert Nicole Kopp die Resultate der aktuellen KMU-Befragung.

Seit 2020 hat die Anzahl Homeoffice-tauglicher Stellen jedes Jahr abgenommen. Die Zahl der KMU, in denen ein Teil oder alle Mitarbeitenden zu Hause arbeiten können, ist innerhalb von drei Jahren von 67 % (2020) auf 56 % (2023) gesunken. Wo sehen Sie den Grund dafür? 
Ich glaube nicht, dass die Homeoffice-Tauglichkeit in diesen Unternehmen tatsächlich abgenommen hat, sondern eher die Wahrnehmung davon: Im Pandemiejahr 2020 befand sich die Schweiz im Ausnahmezustand. Homeoffice musste ermöglicht werden. Jetzt, drei Jahre später, haben die KMU aufgrund ihrer Erfahrungen entschieden, dass bestimmte Aufgaben besser im Büro erledigt werden sollten. Diese Stellen wären wahrscheinlich immer noch für Homeoffice geeignet, wenn auch mit Anpassungen oder Regeln, zum Beispiel, dass Teammeetings und Workshops immer vor Ort stattfinden.  
 

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In Unternehmen mit Homeoffice arbeiten rund zwei Fünftel (42 %) der Mitarbeitenden teilweise oder hauptsächlich zu Hause. Genf und Zürich sind erneut besonders Homeoffice-freundlich. Warum? 
Diese hohe Zahl zeigt, dass örtliche Flexibilität und damit hybride Arbeit für viele Menschen ein echtes Bedürfnis ist. Das belegen auch diverse andere Studien. Was Genf und Zürich betrifft: Dort gibt es viele Start-ups, die sich keine teuren Büros leisten können oder wollen. Zudem sind beide Städte sehr international ausgerichtet. Sie müssen flexible Arbeitsmöglichkeiten anbieten, um konkurrenzfähig zu sein.  

Drei Viertel der Befragten (73 %) erwarten, dass der Homeoffice-Anteil langfristig gleich bleiben wird. Keine Luft mehr nach oben? 
Dies ist eine typische Status-quo-Verzerrung: Die Tendenz, den aktuellen Zustand gegenüber Veränderungen zu bevorzugen. Menschen mögen es, wenn die Dinge so bleiben, wie sie sind. Das scheint mir problematisch, weil die Möglichkeiten von Homeoffice dadurch nicht vollumfänglich genutzt werden. Die fortschreitende Digitalisierung und Automatisierung ermöglicht es uns, Arbeit anders zu erledigen. So gibt es zum Beispiel Ärztinnen, die Online-Beratungen durchführen, was sehr gut von zu Hause geht. Wir sollten die Chancen der Digitalisierung unbedingt nutzen. 

Onlinekonferenz-Tools wie Skype, Teams, Zoom oder Google Meet werden gemäss den befragten Geschäftsführenden seltener (45 %) verwendet als 2022 (62 %) und 2021 (64 %). Ebenfalls stark zurückgegangen sind Online-Beratungen oder -schulungen. Ist das Ende der Pandemie, das Ende der virtuellen Konferenzen? 
Viele haben während der Pandemie schlechte Erfahrungen mit Online-Schulungen gemacht: stundenlang allein auf einen Bildschirm starren, schnell abgelenkt werden – nicht sehr motivierend. Dann die Online-Beratungen: Ihre Anzahl ist zurückgegangen, weil sie oft aus pandemiebedingter Notwendigkeit und nicht aus Überzeugung durchgeführt wurden. Die Umstellung musste zudem sehr schnell erfolgen. Deshalb waren diese Beratungen teilweise nicht sehr professionell und das Beratungserlebnis hat gelitten. Aus meiner Beratungstätigkeit kenne ich Versicherungsberater, die grosse Mühe hatten, Online-Beratungen anzubieten. Oft weil sie fürchteten, nicht die gleiche Beratungsqualität anbieten zu können.  

Was die hybriden Meetings betrifft: Auch sie sind bei vielen Unternehmen unbeliebt und werden oft als «das Schlechteste beider Welten» wahrgenommen.  
Das alles muss nicht sein! Mit ein paar Grundregeln, dem professionellen Einsatz digitaler Tools und einer guten Moderation können virtuelle Konferenzen zu einem tollen Erlebnis werden. 

Telefon und E-Mail sind bei den befragten KMU weiterhin die am häufigsten verwendeten Kommunikationsmittel. Erstaunt Sie das? 
Nein, denn beide Kommunikationsmittel sind sehr etabliert. Aber sie bringen ihre Probleme mit sich: Oft wird das Telefon als störend empfunden, weil es unterbricht und damit die Arbeit fragmentiert. Nach jeder Unterbrechung braucht man etwa acht Minuten, um wieder in die alte Tätigkeit zurückzufinden. Es gibt auch Unternehmen, in denen die Leute keine Zeit zum Telefonieren haben, weil sie ständig in Meetings besetzt sind.  

E-Mail kann ebenfalls problematisch sein, weil Informationen nur zwischen zwei Personen fliessen, anstatt für alle transparent zur Verfügung zu stehen. Ein Phänomen, das ich in vielen Unternehmen beobachte, ist das E-Mail-Pingpong, bei dem man sich mehrere E-Mails hin und her schickt, obwohl ein Anruf effizienter wäre. Viele Menschen neigen auch dazu, sich von eingehenden E-Mails ablenken zu lassen in der Annahme, dass sie sofort beantwortet werden müssen.  

Das Hauptproblem ist jedoch, dass es in den wenigsten Unternehmen klare Regeln gibt in Bezug auf Antwortzeiten und Erreichbarkeit oder welche Inhalte über welche Kommunikationskanäle geteilt werden. Dazu bieten wir Workshops an, die als sehr wertvoll empfunden werden.  

Nutzung von digitalen Kommunikationsmitteln

Nach der Pandemie: Was definieren Sie als neue Arbeitswelt? Was unterscheidet sie von früher? 
Die neue Arbeitswelt oder Arbeitswelt 4.0 beschreibt den Wandel der Arbeitswelt, getrieben durch die digitale Transformation. Es ist ein Wandel, der alle Branchen betrifft und Aufgaben, Prozesse und Berufe verändert. Das hat schon lange vor der Pandemie begonnen. Die Pandemie hat den Wandel jedoch beschleunigt und zu einem regelrechten Digitalisierungsschub geführt. In dieser neuen Arbeitswelt fordern die Arbeitnehmenden mehr zeitliche und örtliche Flexibilität. Ausserdem müssen Unternehmen ihre Organisations- und Führungsstrukturen sowie die Unternehmenskultur anpassen.

Was raten Sie einem Unternehmen, das eine gute Balance zwischen Homeoffice und Büro sucht? Was sollte es den Mitarbeitenden bieten, was einfordern? 
Jedes Unternehmen muss für sich herausfinden, was die eigenen Mitarbeitenden wollen und wie sich das mit den Anforderungen der Arbeit vereinbaren lässt. Ich bin überzeugt davon, dass es Unternehmen langfristig schadet, Homeoffice nicht anzubieten, wenn es möglich ist. 

Hat der Fachkräftemangel einen Zusammenhang oder eine Auswirkung auf das Thema Homeoffice? Lassen sich mit mehr Homeoffice-Möglichkeiten besser Mitarbeitende rekrutieren? 
Homeoffice ist angesichts des Fachkräftemangels eine Chance für Arbeitgeber und Mitarbeitende: Arbeitgeber können Mitarbeitende aus weiter entfernten Orten rekrutieren, die nur wenige Tage pro Woche oder gar nicht ins Büro kommen müssen. Und Mitarbeitende können sich bewusst für Arbeitgeber entscheiden, die ihren Bedürfnissen nach Homeoffice entgegenkommen.

Nicole Kopp ist Gründungspartnerin von GoBeyond (www.gobeyond.co). Als New Work-Expertin, Beraterin und Coach unterstützt sie Führungskräfte, Teams und Organisationen auf dem Weg in die neue Arbeitswelt.