Kunstdarstellung von Künstler Vorisek, Gewinner des Prix mobiliere 2023

Prix Mobilière 2023

Der älteste Förderpreis für junge Kunst einer Versicherung in der Schweiz wird seit 1996 jährlich an eine junge Künstlerin oder einen jungen Künstler vergeben. Der Preis ist mit 30 000 Franken dotiert und mit einem optionalen Werkankauf für die Kunstsammlung der Mobiliar verbunden.

Jan Vorisek gewinnt den Prix Mobilière 2023

Jan Vorisek (*1987 in Basel, lebt und arbeitet in Zürich)

Jan Voriseks künstlerisches Schaffen ist vielfältig: Er arbeitet in den Bereichen Skulptur, Installation, Performance, macht experimentelle Musik und lässt auch Geräusche in seine Werke einfliessen. Sie sind ortsspezifische Kommentare, Ephemera und Dokumentationen. Mit Assemblagen aus gebrauchten und gefundenen Materialien sowie klangerzeugenden Geräten macht der Künstler Klangbewegungen als Träger von Information erlebbar. Dabei werden Materialien und Objekte vielfach in ihre Einzelteile zerlegt, um neue Ordnungssysteme zu generieren. Jan Vorisek ist auch als Mitbegründer des Musiklabels House of Mixed Emotions, kurz H.O.M.E., bekannt. Das Label holt einige der besten internationalen DJs nach Zürich. Voriseks Liebe zur Technik verbindet sein Schaffen als Musiker und seine Arbeit als bildender Künstler. Seine multimedialen Werke und Installationen wirken fast bühnenartig, hier werden Elemente aus Plattenspielern und anderen Abspielgeräten – darunter Drehteller, Spiralen und Rotoren – in Szene gesetzt. Ähnlich wie in der Musik wird der Vorgang des Arrangierens und Modifizierens der Materialassemblagen in den Performances des Künstlers immer wieder sichtbar. Manchmal bringt er die Objekte zum Klingen, zum Beispiel, wenn er metallene Kreisel mit einer knallenden Peitsche antreibt. Dann wieder stehen sie für sich, als stumme Tonträger, als Möglichkeit der Musik. Die subtil belebten Strukturen fungieren sowohl als Erzeuger wie auch als Resonanzraum für Klänge, die die Grenzen der Wahrnehmbarkeit ausloten und überschreiten. Diese Installationen werden durch Bearbeitungen von im Freien aufgenommenen Sounds ergänzt – Echos des urbanen Raums –, in denen das «Innen» mit dem «Aussen» verschmilzt und die genauen Dimensionen des Werks vage werden. Kontinuierliche Anpassungen und Variationen von Klang und Material sind wesentlich für Voriseks Arbeiten, die als Momentaufnahmen eines potenziell endlosen Produktionsprozesses verstanden werden können.

Titelbild: Memory Hotel (Detail), 2020 
Ziegelsteine, Farbfilter, Rosco E-Colour scharlachrot und sunrise rot, Grösse Variabel 
Foto: © Gunnar Meier 

Auswahlverfahren

Sieben namhafte Schweizer Kuratorinnen und Kuratoren haben in dieser Ausgabe jeweils eine Künstlerin oder einen Künstler vorgeschlagen. Eine Fachjury wählt unter den Nominierten die Preisträgerin oder den Preisträger aus.

Das Nominierungskomitee für den Prix Mobilière 2023

  • Georgina Casparis, Leiterin & Kuratorin ArtVontobel
  • Charlotte Laubard, Professorin und Dekanin der Abteilung Bildende Kunst an der HEAD-Genève
  • Samuel Leuenberger, freier Kurator & Kurator des Parcours-Sektors der Art Basel
  • Michelle Nicol, freie Kuratorin & Co-Founder NEUTRAL
  • Hans Ulrich Obrist, künstlerischer Direktor der Serpentine Galleries in London
  • Berit Seidel, Künstlerin im Kollektiv U5
  • Helen Hirsch, Direktorin und leitende Kuratorin im Kunstmuseum Thun

Die Nominierten 2023

Chloé Delarue (*1986 in Le Chesnay, lebt und arbeitet in Genf)

Die Installationen von Chloé Delarue erinnern an biotechnologische Simulationen, an Kreuzungen aus Robotern und lebendigen Organismen. Im Rahmen der Werkgruppe TAFAA (Toward A Fully Automated Appearance / Auf dem Weg zu einem vollautomatischen Erscheinungsbild) präsentieren sich diese Körpermaschinen wie in einem eigenen dystopischen Ökosystem. TAFAA ist eine fortlaufende Arbeit von Chloé Delarue, die sich mit der aktuellen Verflechtung von Technologie und Biologie beschäftigt und dabei unter anderem die Frage aufwirft, wie unsere neuesten Erfindungen wohl altern und ab wann sie zu dysfunktionalen Relikten unserer Zeit werden. Die Künstlerin verwendet für ihre immersiven Installationen unterschiedliche Materialien, darunter ausgeschlachtete technische Geräte, Neonlichter, Blech, Glas und Metall. Latex ist ein wiederkehrendes Element, das sich wie eine Schleimhaut auszubreiten scheint und die detailreichen, vielfach in farbiges Licht getauchten Objekte verbindet. Mit ihren Arbeitet beobachtet Delarue die Wechselwirkungen zwischen Lebendigem und Technik, Natürlichkeit und Künstlichkeit, die sich auch auf unsere Repräsentations- und Identifikationsstrategien auswirken. Indem sie sich vornehmlich mit den Begriffen der Reproduzierbarkeit und der Simulation sowie mit deren Auswirkungen auf unsere Realitätswahrnehmung befasst, erforscht sie die Transformation des physisch Greifbaren und der Körper. Die Werke, die unter dem Titel TAFAA — ONLY RELICS FEED THE DESERT auch in der Ausstellung zu sehen sind, entfalten eine starke sinnliche Wirkung: eingetaucht in Kunstlicht werden die Latexobjekte zu sinnlichen Hybriden zwischen Malerei und Fotografie. 

Bild: TAFAA - ACID RAVE (détail), 2019; Wachs, Latex, Neonröhren, Metall
Grösse Variabel 
Foto: © Florimond Dupont 

Kunstdarstellung von Chloé Delarue, anlässlich Prix mobilière 2023

Franziska Baumgartner (*1987 in Solothurn, lebt und arbeitet in Basel)

Das multimediale Werk von Franziska Baumgartner bewegt sich an der Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft. Ihr Interesse gilt dem Anstossen, Beobachten und Festhalten natürlicher oder künstlicher Transformationsprozesse – von der Entstehung über die Verwandlung bis zur Degeneration, zuweilen bis zum Zerfall der Materie. So hat sie beispielsweise Installationen realisiert, in denen sie anhand gesammelter oder selbst produzierter Objekte die Veränderung von Lebensmitteln durch chemische Prozesse, wie sie etwa in der Molekularküche angewendet werden, veranschaulicht. Ihr Augenmerk liegt insbesondere auf Momenten der Verformung und Entfremdung, die, präzise abgebildet oder konserviert, verführerische visuelle, haptische oder akustische Qualitäten hervorbringen. Die in der Ausstellung auf einem Leuchttisch ausgelegten pflanzenartigen Gebilde oszillieren zwischen Organischem und Artifiziellem und konfrontieren uns mit gesellschaftskritischen Fragen zu Konsumverhalten und zukünftigen Lebensmodellen. Konkret verwendet und mischt die Künstlerin organische und anorganische Substanzen, feste und flüssige Stoffe, essbare und nicht-essbare Zutaten für Versuchsanordnungen, die das selbstorganisierende Potenzial von Materie nutzen. Daraus ergeben sich sinnliche Installationen und Erfahrungsräume, die vielfältige Assoziationsmöglichkeiten zwischen Mikro- und Makrokosmos, Organischem und Künstlichem, Anziehung und Abstossung sowie Wildwuchs und Kontrolle eröffnen.

Bild: Elaboratorium, 2021
Ein spekulatives Food-Labor in Kollaboration mit Mirjam Baumgartner (MSc Lebensmittelwissenschaften ETH) 
Ausstellungsansicht: Gepäckausgabe, Glarus
Foto: © Franziska Baumgartner 

Kunstdarstellung von Franziska Baumgartner, anlässlich des Prix mobilière 2023

Giulia Essyad (*1992 in Lausanne, lebt und arbeitet in Genf)

Giulia Essyad ist bildende Künstlerin, Poetin und Performerin. In ihren Arbeiten thematisiert sie die analoge und digitale Darstellung von Körpern sowie deren Wahrnehmung und Manipulation. Ihr eigener Körper dient dabei als Werkzeug wie auch als Projektionsfläche, um Fragen ihrer weiblichen Identität und deren Stereotypisierung zu verfolgen. In der Verwendung von Bild, Sprache, Video und Performance entwickelt Giulia Essyad oft mehrteilige Werke. Diese präsentieren sich in verschiedenen Formaten, beispielsweise auf dem Bildschirm, als Skulptur oder in Texten. Ihre hochästhetischen visuellen Kompositionen fangen kritisch-futuristische Gedankenwelten atmosphärisch stimmig ein. Essyad nimmt uns mit in einen konstruierten hybriden Kosmos, in dem virtuelle Symbole und Techniken mit analogen verschmelzen. Darin werden semifiktionale Inhalte spielerisch und ernsthaft zugleich verhandelt. Im Ineinanderfliessen von Sci-Fi und Fantasy, Popkultur, Pornografie und Werbung, Kunstgeschichte und Internettrends kreiert die Künstlerin neue Bilder und bringt den Betrachtenden eine differenzierte Sichtweise nahe. Dabei beschäftigt sich Essyad mit der zeitgenössischen Obsession der Selbstdarstellung und untersucht das Spektrum der Nuancen von Masochismus bis Narzissmus. Bei genauerer Betrachtung ihrer Arbeiten fällt auf, dass die Farbe Blau ein starkes und wiederkehrendes Element in ihren künstlerischen Produktionen ist. Dahinter steckt, dass es sich um eine in der Natur selten vorkommende Farbe handelt, die daher oft mit der Idee des Künstlichen — zum Beispiel des Digitalen oder des Ausserirdischen — in Verbindung gebracht wird. Zudem ist die Farbe Blau mit der Idee von Reinheit verknüpft, man denke etwa an das «blaue Blut» der Aristokratie. 

Bild: A Selene Blues, 2020 
Ausstellungsansicht Fri Art 
Foto: © Guillaume Python 
Courtesy of Fri Art Kunsthalle 

Kunstdarstellung von Giulia Essyad, anlässlich Prix mobilière 2023

James Bantone (*1992 in Genf, lebt und arbeitet in Genf und Zürich)

James Bantone präsentiert uns einen ganz eigenen Blick auf die Welt. Im Zentrum stehen dabei der öffentliche Raum, die Popkultur, die Modewelt sowie weitere Bereiche, in denen via Codes kommuniziert wird. Bantone interessiert sich für grundsätzliche Fragen: Wie stellen sich die Menschen dar? Wie ist ihr Selbstbild? Wie kommunizieren sie ihr Geschlecht, ihre Herkunft, ihre Identität? Die Identitätsbesessenheit der heutigen Gesellschaft steht im Fokus der künstlerischen Praxis von James Bantone; sie wird auf verstörende Art und Weise als zentrales Element im Kunstwerk beleuchtet. Äusserungen, Präsentationsformen in den sozialen Medien und das dynamische Agieren der aufkommenden (Entertainment-)Generation – der «Leader», die sich mit Leidenschaft, Kreativität und Authentizität in Szene setzen und so die Popkultur der Zukunft prägen – erhalten dabei ein besonderes Augenmerk. Bantone wählt aus diesem reichen Fundus ästhetische Partikel aus, inszeniert, vergrössert und vervielfältigt sie. So entstehen unter Einsatz verschiedener Medien – Fotografie, Video und Skulptur – Erzählräume, die ganz und gar neuartig sind und beinahe wie ein futuristisches Manifest anmuten. Indem Bantone zusätzlich aus dem Genre Horror schöpft, es gewissermassen ad absurdum führt und sich Elemente aus der Mode aneignet, um sie zu verfremden, gelingt die Annäherung an eine neue Methode der Darstellung: an eine, die auch Verweigerung zum Ausdruck bringt. Die Ergebnisse sind beispielsweise eng genähte Neoprenanzüge, die weder Haut noch Gesicht zeigen. Der Einsatz grotesker, übergrosser Prothesen oder Attribute und manchmal das Entfernen aller weiteren menschlichen Merkmale lässt ein entrücktes Körperbild entstehen, das sich einer eindeutigen Identifizierung und damit auch jedweder Form der Ausbeutung entzieht.

Bild: Terminal Irony, 2021; Spiegel, Neopren, Polyestergarn, Schaumstoff, Acryl, Lederstiefel und -handschuhe 
In Zusammenarbeit mit Jazil Santschi 
I S E, 220 x 200 x 101 cm 

Kunstdarstellung von James Bantone, anlässlich Prix mobilière 2023

Kelly Tissot (*1995 in Annecy, Frankreich, lebt und arbeitet in Basel)

Im ruralen Frankreich aufgewachsen, befasst sich Kelly Tissot mit den Materialien, Räumen und Kulturen ländlicher Gefilde. Entwickelt aus dem Wunsch, die romantischen Versprechungen des Landlebens zu demontieren, konfrontieren ihre Arbeiten gängige Vorstellungen vom ländlichen Idyll mit einer fast brachialen Nüchternheit. So entstehen imposante skulpturale Installationen, in denen Spannungsfelder von Machtverhältnissen, Abgrenzung und Nähe sowie zwischen den verwendeten Materialien erlebbar werden. Die Arbeiten untersuchen Widersprüche und Reibungspunkte zwischen Kultur und Natur, Häuslichkeit und Wildnis, Abgeschiedenheit und Gemeinschaft. Die Künstlerin entwickelt dabei ein spannungsgeladenes Universum, das zwischen Fiktion und Realität, Faszination und Widerstand oszilliert. Die Arbeiten, die sich durch eine auf den ersten Blick distanziert unterkühlte Sprache auszeichnen – manche ihrer hölzernen Objekte wirken wie pragmatisch zusammengezimmerte Bauteile aus einer Scheune, einem Dachstuhl oder einem Zaun – zeigen auf, was ausserhalb der Städte existiert. Der Mensch ist in den Arbeiten von Kelly Tissot nicht abgebildet, sondern nur durch die Massstäblichkeit und die Spuren der Zivilisation wahrnehmbar, durch das, was er täglich benutzt, zähmt oder zu kontrollieren versucht.

Bild: Fuel-soaked Snooze XIII, 2022; Digitale UV-Drucke auf MDF, gebeiztes Fichtenholz, Vinyl; je 108 x 145
Familienporträts, 2022, Forde, Genève (CH) 
Courtesy of the artist and Forde 

Kunstdarstellung von Kelly Tissot, anlässlich Prix mobilière 2023

Sitara Abuzar Ghaznawi (*1995 in Ghazni, Afghanistan, lebt und arbeitet in Zürich)

Sitara Abuzar Ghaznawi setzt sich in ihren Installationen und Assemblagen mit Vorstellungen von Ästhetik, sozialen Strukturen und unterschiedlichen kulturellen Hintergründen auseinander. Durch die Verwendung alltäglicher Materialien wie Plastikblumen, Spitze, Vinyl, Hemden oder Stahlketten stellt die junge Künstlerin mit ihren skulpturalen Objekten gängige Ideale von Handwerk und Geschmack, aber auch institutionalisierte Strukturen infrage. Wiederkehrende Materialien, Farben und Motive tragen zur Eigenständigkeit und Wiedererkennbarkeit ihrer künstlerischen Sprache bei, so zum Beispiel die Rose, die verschiedentlich auftaucht – mal von der Decke hängend, mal in Farbe getaucht, dann wieder auf Baumwollstoff oder auf Spitze gedruckt. Indem Ghaznawi westliche und nicht-westliche Vorstellungen von Ästhetik miteinander konfrontiert, macht sie Machtverhältnisse anschaulich und zugleich auf die Verwischung kultureller Vielfalt aufmerksam. Ausdrucksstark und poetisch, gegenwärtig und doch voller lyrischer Traditionen, berührt ihre Arbeit eine Vielzahl relevanter Themen. Möbel wie Vitrinen, Schaukästen oder Bücherregale, die in unserer westlichen Gesellschaft als Präsentationsvorrichtungen dienen, setzt die Künstlerin ein, um die Bedeutung von Rahmung und Darstellung im Hinblick auf die Gestaltung von Erzählungen zu untersuchen. Kulturelle und klassenbedingte Ungleichheiten und ideologische Fehlfunktionen von Institutionen sind die Konstrukte, die Ghaznawi kritisch hinterfragt. In den daraus resultierenden Installationen werden starre, schwere und solide Monumente, die die ideologische Last tragen, zarteren und vergänglicheren Texturen und Materialien gegenübergestellt. Durch eine intensive Auseinandersetzung mit archivarischen und historischen Aspekten entwickelte sich eine visuelle Sprache, die östliche Folklore und Popkultur miteinander verschmilzt. Ghaznawis Werke werden nach ihren Ausstellungen häufig wieder in ihre Einzelteile zerlegt und recycelt. 

Bild: Showcase (Flower 1), 2020
Showcase (Flower 2), 2020
Tintenstrahl auf Baumwolle, Acrylglas, Stahl 
100.8 × 120.5 × 25.5 cm
90.8 × 120.7 × 25.7 cm 

Kunstdarstellung von Sitara Abuzar Ghaznawi, anlässlich Prix mobilière 2023