Roger Rychen wirbelt seinen Gegner im Sägemehlring vor grossem Publikum durch die Luft – ein intensiver Moment im Schwingkampf.
Story

Der liebe Böse

Roger Rychen ist ein wichtiger Botschafter des Eidgenössischen Schwingfests 2025 in Mollis. Der Glarner setzt vor seinem Heimspiel auch auf die innere Kraft.

Es ist auch ein bisschen das Verdienst von Roger Rychen (33), dass sich «sein» Mollis vor vier Jahren quasi im Schlussgang gegen die Kandidatur aus St. Gallen durchgesetzt hat. Der 70-fache Kranzgewinner war eine der Hauptfiguren im Bewerbungsfilm und rückte seine Region zusammen mit SRF-Moderatorin Fabienne Gyr und Ski-Legende Vreni Schneider ins beste Licht. Seither ist Rychen das sportliche Aushängeschild des ESAF 2025 Glarnerland+.

Das kleine Mollis wird Ende August ganz gross sein. Das nur alle drei Jahre stattfindende Eidgenössische Schwing- und Älplerfest (ESAF) rückt den Ort mit 3500 Einwohnerinnen und Einwohnern ein Wochenende lang in den Fokus der Schweizer Öffentlichkeit.

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Wenn ich gewinne, juble ich zu meinen Bergen.
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Roger Rychen - 70-facher Kranzgewinner

Rychen war 2016 der erste Glarner seit 27 Jahren, der mit einem Kranz von einem «Eidgenössischen» nach Hause kam. Seit dem ESAF 2022 in Pratteln ist er gar der einzige Glarner, der drei eidgenössische Kränze gewonnen hat. Viele Augen werden Ende August auf ihn gerichtet sein. Heimvorteil oder (zu) grosser Druck?  «Ich kenne hier jeden Winkel und fühle mich wohl. Wenn ich gewinne, juble ich zu meinen Bergen», sagt Rychen. «Die grosse Erwartungshaltung motiviert mich.» Der zweifache Familienvater möchte seiner Karriere vor seiner Haustüre mit einem vierten eidgenössischen Kranz die Krone aufsetzen. 

Vom scheuen Kind zum eigenen Chef

Roger Rychen kam mit 14 Jahren relativ spät zum Schwingen, begann dafür früh, seinen eigenen Weg zu gehen – nicht nur sportlich. Er verliess das Tal als 17-Jähriger und absolvierte im Thurgau eine Lehre zum Landwirt. Den elterlichen Bauernhof oberhalb von Mollis übernahm später aber sein Bruder. Rychen ist trotzdem viel mit dem Traktor unterwegs. Er ist seit über zehn Jahren beim gleichen Unternehmen als Maschinist angestellt und erledigt vorwiegend landwirtschaftliche Arbeiten, wie zum Beispiel das Pressen von Siloballen.

«Ich bin in einem kleinen Kanton aufgewachsen und wollte etwas Neues sehen. Für mich war klar, dass ich die Lehre anderswo absolvieren möchte. Dafür musste ich meine Komfortzone verlassen.» Als Kind sei er scheu gewesen. «Wir wohnten recht abgelegen und hatten abgesehen von ein paar Touristen keine richtigen Nachbarn. Die sozialen Kontakte hielten sich daher in Grenzen.»

Eigeninitiative war auch im Sport gefragt. «Ich konnte nicht in einem grossen Team mitschwimmen und musste mir vieles selbst erarbeiten. Das kam mir entgegen, weil ich gerne mein eigener Chef bin.» Im ganzen Kanton Glarus gibt es nur zwei Schwingklubs. Um auch im Training gefordert zu werden, schloss er sich vor zehn Jahren einer Gruppe Spitzenschwinger an, darunter der Zürcher Samir Leuppi. Leuppi wurde zu einer wichtigen Bezugsperson, einem guten Freund und später auch seinem Trauzeugen und Götti seiner jüngeren Tochter.

Rychen baute sich sein eigenes Team mit Athletikcoach und Mentaltrainerin auf. Seit einiger Zeit trainiert er ausserdem zweimal pro Woche im Toggenburg mit Grössen wie Samuel Giger, Armon Orlik oder Werner Schlegel.

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Meditation sorgt für eine innere Ruhe.
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Roger Rychen - 70-facher Kranzgewinner

Über die Coiffeuse zur Mentaltrainerin

Wie für andere Spitzensportler gehört Mentaltraining auch für die meisten «Bösen», wie die besten Schwinger genannt werden, einfach dazu. Rychen kam vor zehn Jahren eher zufällig damit in Berührung. «Meine Coiffeuse fragte mich, ob das nicht etwas für mich wäre. Sie kenne da jemanden.» Rychen verneinte zunächst und meinte, er hätte kein Kopfproblem. Kurz darauf traf er sich trotzdem mit Mentaltrainerin Heidi Walker, «weil ich etwas Neues ausprobieren wollte.» Seither ist das «Kopftraining» für den 112-Kilogramm-Mann nicht mehr wegzudenken. 

«Ich habe Methoden entwickelt, um besser mit schwierigen Situationen umgehen zu können. Das hilft mir auch ausserhalb des Sports», erklärt Rychen. Es gelinge ihm heute, negative Gedanken ins Positive umzudrehen. Visualisierungen spielen dabei eine zentrale Rolle. «Ich erstelle meinen eigenen Film, den ich immer wieder durchgehe. Von der Anreise, über das Einlaufen in die Arena, dem Aufwärmen, den ersten Gang bis hin zur Krönung.» Diese inneren Bilder abzurufen, gebe ihm am Wettkampftag ein gutes und vertrautes Gefühl.

Rychen zieht sich am frühen Morgen gerne für Atemübungen aufs Bergli zurück – eine kleine Anhöhe oberhalb seines Wohnorts Glarus. «Meditation sorgt für eine innere Ruhe, ich bin mehr bei mir.» Vor dem ESAF 2022 in Pratteln habe er dieses Ritual während eines Monats jeden Morgen an seinem Kraftort wiederholt.

Roger Rychen in einer dynamischen Trainingspose auf einer Wiese vor Bergkulisse – entschlossen, fokussiert und in Bewegung.

In der Ruhe liegt die Kraft: Roger Rychen zieht sich gerne an seinen Kraftort auf dem Bergli zurück.

Mutter, Ehefrau und Managerin

Kraft holt sich Roger Rychen auch bei seiner Familie: Ehefrau Nicole und die Töchterchen Ariana (4) und Giulia (1). «Nicole nimmt einen enormen Aufwand auf sich», sagt Rychen. Sie hält Roger den Rücken frei und kümmert sich als Managerin zum Beispiel um die Medienarbeit und Sponsorentermine. «Ehefrauen als Managerinnen sind im Schwingsport keine Seltenheit», meint Nicole Rychen. Als sie Roger 2012 kennengelernt hat, wusste sie zunächst nicht, dass er Schwinger ist. «Er hatte damals erst einen Kranz gewonnen. Die restlichen 69 hat er dann mit mir geholt», sagt sie schmunzelnd. 

Trotz seiner Erfolge sei ihr Mann auf dem Schwingplatz zuweilen etwas zu lieb. «Er dürfte manchmal ein bisschen aggressiver sein.» Roger Rychen bestätigt, er mache sich schnell Sorgen um seine Gegner, wenn er sie etwas gar unsanft ins Sägemehl gedrückt habe. Harte Schale, weicher Kern.

oger Rychen mit seiner Partnerin und zwei kleinen Kindern in einem liebevoll eingerichteten Wohnzimmer mit Schwinger-Trophäen an der Wand.

Kraftort Familie: Roger Rychen mit seiner Frau Nicole und den zwei Töchterchen.

Unkompliziert und kollegial

Mit der Mobiliar verbindet Roger Rychen nicht nur seine erste Versicherung (für sein erstes Auto). Die Generalagentur Rapperswil-Glarus ist seit 2023 seine Co-Sponsorin. «Ich bin stolz und dankbar für diese Partnerschaft», sagt Rychen. Die Zusammenarbeit mit Generalagent Viktor Nikolic sei unkompliziert und sehr kollegial. Die Mobiliar engagiere sich schon lange für den Schwingsport und habe einen sehr guten Ruf in der Szene. «Es freut mich sehr, auch Teil dieser Erfolgsgeschichte zu sein.»

Roger Rychen steht mit 33 Jahren im Herbst seiner Karriere. Seiner persönlichen Erfolgsgeschichte möchte er an seinem «eigenen Fest» gerne ein weiteres Kapitel hinzufügen. Es kann dieses Jahr nur besser kommen. Die letzte Saison war für ihn zum Vergessen. Aufgrund einer Rückenverletzung verpasste er viele Feste und gewann nur einen Kranz. Das sei abgehakt, sagt der 1,90 Meter grosse Modellathlet. «Ich achte nun noch etwas besser auf die Signale meines Körpers. Im Winter bin ich im Krafttraining nicht immer ans Limit gegangen.» Für Roger Rychen gilt ohnehin: in der Ruhe liegt die Kraft.

Roger Rychen in der Hocke beim Gewichtheben im Trainingsraum – mit voller Konzentration und ausgestreckten Armen unter der Langhantel.

Roger Rychen ist letzten Winter im Krafttraining nicht immer ans Limit gegangen.