Kunst & Nachhaltigkeit Vol. 2
Neue Werke – Neue Perspektiven13. März bis Ende September 2014
Nach «Fahrhabe – und die Mythen des Alltags» zeigen wir in unserer Ausstellungsreihe «Nachhaltigkeit & Kunst» bereits die zweite Folge. «Neue Werke – Neue Perspektiven» vereinigt eine Gruppe von Objekten und Bildern, die programmatisch für einen Wechsel in der Sammlungs- und Ausstellungspolitik der Mobiliar stehen. Die Mobiliar begreift Kunstwerke nicht mehr als passive Objekte, sondern als aktive Grösse im Rahmen ihres Gesellschaftsengagement: Die Innovationskraft der Kunst soll für die Entwicklung des Unternehmens und der Allgemeinheit nutzbar gemacht werden. Deswegen strebt die Mobiliar eine enge Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Künstlern an.
«Neue Werke – Neue Perspektiven» stellt u.a. die neuen Ankäufe vor, die vor diesem Hintergrund einer gesellschaftlichen Fragestellung in die Sammlung der Mobiliar aufgenommen wurden. Migration, Globalisierung, Tradition, Wissenskontrolle und Marken-Fetischismus sind nur einige der Stichworte, mit denen sich die Künstlerinnen und Künstler auseinandersetzen. Die unkonventionellen und überraschenden Herangehensweisen der Kunst und Gestaltung kreieren neue Perspektiven auf gesellschaftliche Problemstellungen.
Kimsooja (*1957, KOR)
Der Begriff «Bottari» stammt aus dem Koreanischen und heisst übersetzt: Bündel. In Korea ̶ Kimsooja stammt aus Südkorea und lebt heute in Paris, New York und Seoul ̶ werden diese zu Bündel geschnürten, farbenprächtigen Tücher benutzt, um bei einem Umzug die elementaren Siebensachen eines Haushaltes zu transportieren. «Bottaris» sind Symbole einer nomadisierenden Welt, einer mobilen Wirtschafts- und Lebensform, mit der auch wir in Europa und in der Schweiz uns immer mehr konfrontiert sehen. Kimsooja arbeitet bereits seit den frühen 1990er Jahren mit «Bottaris» und benutzt sie in unterschiedlichen Konstellationen: Die Bündel wurden als Einzelobjekte auf dem Boden des Museums platziert; sie sind auf der Ladefläche eines Pick-up-Trucks Teil einer Performance ̶ oder sie bringen ein chinesisches Dreirad zum Kippen wie beim «Bottaris Tricycle», das sich in der Sammlung der Mobiliar befindet.
Claudia Comte (*1983, CH)
Ursprünglich stammt Claudia Comte aus Lausanne. Doch seit einigen Jahren lebt und arbeitet die junge Künstlerin in Berlin. 2012 erhielt sie unseren Prix Mobilière. Comte zählt zu einer vielversprechenden jungen Schweizer Künstlerinnengeneration, die national und international grosse Beachtung erhält. Claudia Comte ist ein «digital native», ein Kind der digitalen Medienwelt, das mit Computern und Computerspielen aufgewachsen ist. Ihre Kunst befasst sich mit dieser neuen, virtuellen Wirklichkeit, die einen stärkeren Einfluss auf unseren Lebensalltag hat. Geometrische Rasterfelder, mit surrealistischen Skulpturen und comic-haften Figuren, die sie mit teils ungewöhnlichen Instrumentarien – etwa mit Kettensäge und Gasbrenner – aus Holz herstellt, sind Claudia Comtes intelligente und charmante Kunst-Antwort auf die digitale Normierung.
Thomas Feuerstein (*1968, A)
Ursprüngliche studierte Thomas Feuerstein Philosophie und Kunstgeschichte. Dieser «wissenschaftliche» Einfluss ist auch in seiner künstlerischen Praxis sehr präsent, ja, die Wissenschaft und deren kritische Reflexion ist das eigentliche Thema seiner künstlerischen Tätigkeit. Aus Glas-Versatzstückchen eines Chemielabors – Erlenmayr-Kolben, Destillationsröhren, etc. – hat Feuerstein hochästhetische Lampenobjekte gebaut, die er «Candylamps» nennt. Diese Objekte funktionieren, wie der Name es sagt, zum einen als Leuchtkörper. Zum andern bilden diese merkwürdig-futuristischen Einrichtungsgegenstände auch eine pseudo-wissenschaftliche Untersuchungseinheit, einen photosynthetischen Kreislauf, der gewissermasen Energie produziert. In der Form dieses Bioreaktors treffen sich auf wundersame Weise ästhetische und naturwissenschaftliche Vorstellungen, die sich zudem noch als komplett nachhaltig erweisen: Der chemische Prozess dient dem Künstler nämlich zur Herstellung von Pigmenten, die er für seine märchenhaften Zeichnungen benötigt.
Rémy Markowitsch (*1957, CH)
«... hast Du meine Alpen gesehen?», schreit ein röhrender Hirsch in den Ausstellungsraum und stellt damit eine Grundsatzfrage – die Frage nach der Dosierung des Verhältnisses zwischen Fortschritt und Tradition, zwischen Bewahrung und Innovation. Der gebürtige Zürcher und international renommierte Konzeptkünstler Rémy Markowitsch befasst sich in seinem Oeuvre mit der Ambivalenz des Fortschritts, mit einer Wachstumsentwicklung, die häufig zu Lasten von kulturellen Werten, von Minderheiten, oder von ökonomischen Nischen geht. In unserer Ausstellung fokussiert Markowitsch auf unsere allernächste Umgebung, auf die Alpen. Ein röhrender Hirsch, aus recyclierten Lederhosen von einem Tierpräparator hergestellt und ein Bergpanorama, das aus Jahrbüchern des Schweizer Alpen Clubs collagiert wurde, machen deutlich, wie weit wir in der wirtschaftlichen Übernutzung unserer kulturellen Wurzeln bereits gegangen sind.
Ekrem Yalçındağ (*1964, TUR)
Der türkische Konzeptmaler Ekrem Yalçındağ ist ein kultureller Brückenbauer. Er hat sein Oeuvre dezidiert zwischen okzidentalen und orientalischen Weltbildern angesiedelt. Ausgangspunkt seiner streng konzipierten und von Assistenten ausgeführten Ölgemälde, sind Naturstudien. Formal basieren die hochästhetischen Konstruktionen auf abstrahierten Blütenblättern, die zu grösseren Bildkörpern – Rechtecke, Kreise, Quadrate oder andere geometrische Strukturen – gruppiert werden. In der Farbpalette greift Yalçındağ auf die Beobachtung alltäglicher Ikonographien zurück: «Impressions from the street», nennt der Künstler seine Referenz an die Farben der Strasse, die er in seinen Gemälden verarbeitet.
Alessandro Balteo Yazbeck (*1972, VEN)
Die künstlerische Praxis des aus Venezuela stammenden Alessandro Balteo Yazbeck hängt sehr eng mit der Geschichte seiner Heimat und des lateinamerikanischen Kontinents zusammen. Sein Interesse gilt den Verflechtungen von politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Themen. Er befasst sich mit der Frage, wie Kultur in den Dienst von nationalstaatlicher Propaganda gestellt wird. Seine Arbeiten hinterfragen und analysieren Strategien der US-amerikanischen Regierung, die Kunstwerke gezielt verwendete, um in Lateinamerika eine Diplomatie mit kulturellen Waffen zu betreiben. Westlicher Kultur-Imperialismus verbindet sich in der Figur von Erdöl-Tycoon Nelson Rockefeller mit rücksichtlosem wirtschaftlichen Kolonialismus. Sinnbild dafür ist eine Hängematte der Yanomamö, ein Indio-Volk im Amazonasgebiet, das durch die Erdöl-Exploration seine wirtschaftliche und kulturelle Basis verloren hat. Balteo Yazbeck macht es deutlich: Kulturelle und ökonomische Vereinnahmung gehen Hand in Hand.
Spezialprojekt: Arnold Odermatt (*1925, CH)
Eine «Ausstellung in der Ausstellung» widmen wir dem Fotografen und ehemaligen Polizisten Arnold Odermatt, dessen Werke noch nicht zu unserer Sammlung zählen. Erstmalig in Bern zeigen wir eine grosse Auswahl an Fotografien seiner Serie «Karambolage». Odermatt ist Kult. Als Polizist im Kanton Nidwalden hielt er über vierzig Jahre mit seiner Rolleiflex Unfallorte fest, bis er «entdeckt» wurde: Anfang der 1990er Jahre recherchierte sein Sohn und Regisseur Urs Odermatt für seinen Spielfilm «Wachtmeister Zumbühl» und fand auf dem Dachboden der Eltern zigtausende Negative des Vaters – eine aussergewöhnliche Erfolgsgeschichte nahm ihren Lauf. 2001 zeigte Harald Szeemann Odermatt auf der Biennale in Venedig und katapultierte den früheren Polizisten in die ersten Reihen der Kunstwelt. Seit dem präsentierte Arnold Odermatt bereits vielerorts seine Fotografien, die durch ihre besondere Mischung aus Alltagsdokument und Inszenierung bestechen. Seine präzise und künstlerisch feinnervig dokumentierte Welt des Unfalls offenbart eine besondere Eigenheit und Absurdität, einen unfreiwilligen Humor – und präsentiert die Wirklichkeit als Artefakt. Zeitgeschmack, Mode und Design bieten die perfekte Szenerie für eine unwirklich wirkende Wirklichkeit. Die dahinter teilweise verborgenen Tragödien und Dramen sind nur noch vage präsent – das beschädigte Objekt, das zerbeulte Auto wird zum nachdenklich-sinnierenden Hauptakteur in seinem eigenen Setting.
Hartz IV Lounge: Van Bo Le Mentzel
Wo sonst die Gäste der Mobiliar kurz verweilen und auf einem herkömmlichen Ledersessel sitzen, präsentiert sich nun unsere Hartz IV Lounge. Der Berliner Architekt Van Bo Le Mentzel (*1977, Laos) zeigt eine Auswahl seiner so genannten «Hartz IV Möbel». Für seine Präsentation in Bern kommt ein neues Hartz IV Möbel zum Zug: Die Schweizer Bank, eine Mischung aus Sitzbank und Geldtruhe.Umgangssprachlich bezeichnet Harzt IV in Deutschland das so genannte Arbeitslosengeld II, die niedrigste Stufe staatlicher Absicherung. Der Begriff ist zum Synonym geworden für eine Melange aus Armut, sozialer Ungerechtigkeit und Abzockertum. Dass Le Mentzel diesen Titel für ein partizipatives Möbel-Konzept wählt, bei dem er die Referenzen u.a. in der mittlerweile hochpreisigen Moderne findet, ist frech und klug zugleich: Unter dem Motto «Konstruieren statt Konsumieren» will Van Bo Le Mentzel Menschen dazu motivieren, selbst Hand anzulegen. Kostenlos verschickt er seine Baupläne auf Anfrage und bittet im Gegenzug, das eigens konstruierte Projekt fotografisch zu dokumentieren und über den Verlauf des Konstruierens zu berichten. Le Mentzel regt mit seinem Projekt an, gesellschaftlich-ökonomische Machtstrukturen zu überdenken und Eigeninitiative zu entwickeln. Spielerisch und bestens anwendbar führt er vor, dass gutes Design nicht nur eine Frage des Geldes ist. Im Zentrum steht der Wunsch, selbst zu entscheiden, wie man leben will.