die Mobiliar

Stress erkennen, Stress vermeiden?

Interview mit Dr. Erika Meins, Leiterin Mobiliar Lab für Analytik an der ETH Zürich, und Remo Rüegger, Fachspezialist Betriebliches Gesundheitsmanagement bei der Mobiliar.

Frau Meins, Sie leiten seit 2018 das Mobiliar Lab für Analytik. Ihr Forschungsteam hat in einer Studie unterschiedliche Situationen im Büroalltag simuliert und den Effekt auf das Stressniveau der Teilnehmenden untersucht. Was haben Sie herausgefunden?

(Erika Meins) Erstens konnten wir nachweisen, wieviel Stress Arbeitsunterbrechungen auslösen. Wer wiederholt Arbeitsunterbrechungen ausgesetzt war, schüttete in einer sozial herausfordernden Situation doppelt so viel Kortisol aus. Überraschend dabei war, dass die körperliche Reaktion stärker ausfiel als die psychische. Das heisst also, dass wir die effektiven Auswirkungen von Stress weniger bewusst wahrnehmen, als sie tatsächlich sind. Zweitens haben wir gesehen, dass eine neutrale bzw. nicht empathische Reaktion der vorgesetzten Person reicht, um Stress auszulösen. Umgekehrt wird eine potenziell stressverursachende Situation entschärft, wenn das berufliche Umfeld freundlich und verständnisvoll reagiert.

Aufgrund der Pandemie wird seit letztem Jahr viel seltener am normalen Arbeitsplatz gearbeitet. Können Ihre Studienresultate auch aufs Homeoffice übertragen werden?

(Erika Meins) Dass Arbeitsunterbrechungen oder sozialer Stress negative Auswirkungen haben können, sind Mechanismen, die grundsätzlich auch im Homeoffice gelten. Dort können sie sogar verstärkt vorkommen, beispielsweise die Arbeitsunterbrechungen durch Kinder, die gleichzeitig betreut werden sollten.

""

Was raten Sie Führungskräften, um ihre Mitarbeitenden vor chronischem Stress zu schützen?

(Erika Meins) Die Festlegung definierter Zeitfenster für die Erreichbarkeit oder zur Erledigung bestimmter Aufgaben gibt dem Arbeitsprozess mehr Struktur und reduziert die Arbeitsunterbrechungen. Innerhalb der Zeitfenster kann so produktiver und gelassener gearbeitet werden. Und die Pause soll auch wirklich zur Erholung genutzt werden, am besten kombiniert mit Bewegung in der Natur oder mindestens an der frischen Luft. Ein wichtiger Punkt ist auch der freundliche und verständnisvolle Umgang miteinander. Eine kleine Nachfrage hier, ein Lächeln da – das kann einen grossen Unterschied machen. Im Homeoffice ist das zwar schwieriger. Aber in E-Mails kann beispielsweise die massvolle Verwendung von Emojis helfen.

(Remo Rüegger) Wichtig ist, dass offen mit dem Thema umgegangen wird und eine Sensibilisierung stattfindet. Was sind mögliche Frühwarnzeichen, wie entwickelt sich die – gefühlte – Belastung? Ein bewährtes Instrument, um die vorhandenen Belastungen zu messen und sichtbar zu machen, ist beispielsweise die Mitarbeiterbefragung FWS Job-Stress-Analysis. Mitarbeitende müssen aber nicht bloss gehört, sondern auch in die Lösungsfindung aktiv einbezogen werden. Gleichzeitig sind Vorgesetzte gefordert, ihre Erwartungshaltung klar zu artikulieren und vorbildlich zu handeln.

Was tun Sie persönlich, wenn Sie sich gestresst fühlen?

(Erika Meins) Tiefes, ruhiges Atmen entspannt sofort. Ausserdem nutze ich Wartezeiten, zum Beispiel am Bahnhof oder vor dem Rotlicht, als kleine Auszeiten, um mich bewusst zu entspannen. Um akuten Stress zu reduzieren, hilft mir eine Mini-Auszeit von zwei bis drei Minuten: tief durchatmen, geistig aus der Situation nehmen. Die Schwierigkeit dabei ist, dass man in stressigen Situationen gar nicht daran denkt, das zu tun. Genau da setzen wir mit unserem Forschungsprojekt an: ein personalisiertes Frühwarnsystem für Stress, gekoppelt mit digitalen Interventionen zur Reduktion von Stress bei der Arbeit.

(Remo Rüegger) Die sogenannte Pomodoro-Technik hilft mir, meine berufliche Arbeit zu strukturieren. Ausserdem verschafft mir dieses Vorgehen wiederkehrend kleine Erfolgserlebnisse und kurze Pausen. In unserem Team hat sich zudem bewährt, dass wir uns regelmässig austauschen und allfällige Fragen schon vor der Sitzung teilen. So können die Antworten besser vorbereitet und die Zeit während der Sitzung effizienter genutzt werden. Und nicht zuletzt ist es wichtig, in der Freizeit Erholung zu finden. Mein persönlicher Herunterfahr-Tipp: Gartenarbeit.

Mobiliar Lab für Analytik an der ETH Zürich

Das Mobiliar Lab für Analytik wurde 2013 von der ETH und der Mobiliar ins Leben gerufen und ist Teil des Gesellschaftsengagements der Mobiliar. Unter Einsatz von neuen Technologien und maschinellem Lernen forscht das interdisziplinäre Team rund um das Thema «Verantwortungsvolle digitale Interaktionen». Das Lab hat sich unter anderem zum Ziel gesetzt, digitale Interaktionen für den Menschen weiter zu verbessern.

3 Takeaways zur Förderung der Gesundheit im Betrieb

  • Arbeitsunterbrechungen verursachen Stress. Ein strukturierter Arbeitsablauf mit definierten Zeitfenstern kann helfen, die Anzahl (ungewollter) Arbeitsunterbrechungen zu reduzieren und den Stresslevel zu senken.
  • Mitarbeitende wollen sich wertgeschätzt und einbezogen fühlen. Öfter mal ein freundliches Wort sowie die Durchführung eines Gesundheits- oder Themenzirkels, in dem Mitarbeitende eine Stimme erhalten und als Experten für die eigene Arbeitssituation Lösungsvorschläge erarbeiten, haben sich bewährt.
  • Die Achtsamkeit beginnt bei sich selbst. Individuelle Techniken und bewusste Pausen helfen bei der Bewältigung und Prävention von Stress.

Wollen auch Sie der Mitarbeitergesundheit mehr Beachtung schenken und in Ihrem Unternehmen ein Gesundheitsmanagement einführen?

Mehr erfahren

 

Kontakt:
Erika Meins, erika.meins@mobiliar.ch, Leiterin ETH Lab, die Mobiliar, Bern
Remo Rüegger, remo.rueegger@mobiliar.ch, Fachspezialist Betriebliches Gesundheitsmanagement, die Mobiliar, Bern

Erika Meins
Remo Rüegger