die Mobiliar

Geringeres Sterberisiko dank höherem Lohn – was ist mit den Branchen?

Comic über die Altersrente

In der Schweiz werden die Menschen immer älter, wobei die durchschnittliche Lebenserwartung von Frauen und Männern bekanntlich verschieden ist. Laut jüngsten Zahlen des Bundesamts für Statistik liegt die Differenz bei rund vier Jahren – zugunsten der Frauen. Nun kann man sich die Frage stellen, ob es neben dem Geschlecht noch weitere Kriterien gibt, die einen signifikanten Einfluss auf die Lebenserwartung haben.

Studie belegt höhere Lebenserwartung für Gutverdienende

Im Jahr 2002 wurde die Caritas-Studie mit der Schlussfolgerung «Arme sterben früher» veröffentlicht. Damals wurde aufgezeigt, dass ein ungelernter Arbeiter im Durchschnitt vier bis fünf Jahre früher stirbt als ein Akademiker, der theoretisch mehr Geld verdient:

Sterblichkeitsrisiko nach Alter

Gilt das auch heute noch und hat die Lebenserwartung tatsächlich etwas mit dem Einkommen zu tun? Gemäss aktuellen Daten der Mobiliar zu den Schweizer Todesfällen bei aktiv berufstätigen Personen wird für Männer und Frauen mit einem höheren Lohn eine geringere Sterblichkeit ausgewiesen. Dies würde das Ergebnis der Studie der Caritas stützen, wonach ein höherer Lohn mit einer höheren Lebenserwartung zusammen hängt.

Es leuchtet ein, dass ein höherer Lohn bessere Lebensbedingungen ermöglichen und sich ein tiefer Lohn gegenteilig auswirken kann. So kann beispielsweise die Wohnlage an einer lärmigen, abgasbelasteten Strasse die Gesundheit beeinträchtigen, wie auch eine einseitige, ungesunde Ernährung oder mangelnde gesundheitliche Vorsorge.

Branchenspezifische Unterschiede

Allerdings können sich auch ein erhöhtes branchenspezifisches Unfallrisiko, schlechte Arbeitsbedingungen, Schichtarbeit oder Stress negativ auf die Lebenserwartung auswirken. Somit stellt sich die Frage, ob nicht eher die Branche, in der jemand arbeitet, den grösseren Einfluss auf die Sterblichkeit hat als der Lohn an sich. Die Mobiliar-Daten zu den aktiven Versicherten legen indes den Schluss nahe, dass der Lohn als alleiniges Indiz für die Lebenserwartung vermutlich zu kurz greift.

Sterblichkeitsrisiko nach Berufs-Branchen

Zwar belegen die Zahlen die Tendenz «hoher Lohn = tiefes Sterberisiko». Allerdings sind in den mittleren Lohnschichten gewisse Unterschiede auszumachen. So scheinen Personen, die in der Pflege beschäftigt sind, trotz tieferem Lohn eine geringere Sterblichkeit aufzuweisen als Personen, die auf dem Bau oder im Büro arbeiten. Ohne die Daten der Mobiliar auf die gesamte Bevölkerung übertragen zu wollen, scheinen dennoch sowohl der Lohn als auch die Branche einen Einfluss auf das Sterberisiko zu haben.

Lohn und Branche beeinflussen Lebensdauer

Was bedeutet das nun für die berufliche Vorsorge? Das BVG sieht für die Berechnung der Rente bekanntlich keinen individuellen Umwandlungssatz vor. Und dies obschon die Lebenserwartung der Rentner je nach früherem Lohn und Branche beim Erreichen des Rentenalters unterschiedlich sein kann. Während Gutverdienende durchschnittlich länger leben, fällt für manche Rentner die verbleibende Lebenszeit vergleichsweise kurz aus.

Wenn alle Leistungen gleich sind (insbesondere die gleichen demografischen Parameter wie Anzahl Kinder, Alter des Ehepartners), dann muss gemäss Statistik das angesparte Alterskapital beispielsweise für Neurentner aus dem Gastgewerbe mit einem tiefen Lohn durchschnittlich weniger lange reichen als für einen Neurentner mit Hochschulausbildung und hohem Lohn. Offen ist, wie sich die Branche und der Lohn – und somit die Lebenserwartung – des Ehepartners auswirken. Eine ähnliche Branche oder ähnlicher Lohn könnten den Effekt verstärken oder im gegenteiligen Fall auch abschwächen.

Insofern wäre es wohl versicherungsmathematisch korrekt, wenn für tiefere Löhne und gewisse Branchen der Umwandlungssatz höher angesetzt würde als für andere. Die ausgezahlte Rente würde somit der Restlebenserwartung angepasst. Natürlich relativierte sich das Ganze durch das angesparte Altersguthaben und dessen Einfluss auf die Rente. Beispielsweise würde für einen Koch ein höherer Umwandlungssatz angewendet als für eine Gymnasiallehrerin. Allerdings erhielte die Gymnasiallehrerin wohl dennoch die höhere Altersrente, da sie wahrscheinlich deutlich mehr Kapital angespart hat.

Mehr Individualität beim Umwandlungssatz?

Vermutlich würden viele einen versicherungsmathematisch motivierten höheren Umwandlungssatz für Neurentner aus einer Branche mit tiefen Löhnen als mehr oder weniger gerecht empfinden. Zumal diese Neurentner zuvor bereits mit ihrem tiefen Lohn gesellschaftlich benachteiligt waren. Sind wir aber bereit, auch ohne subjektive Benachteiligung eine unterschiedliche Berechnung der jährlichen Altersrente zu akzeptieren?

Dann nämlich würden ein Bauarbeiter und eine Krankenschwester bezüglich Umwandlungssatz unterschiedlich behandelt. Bei gleichem Altersguthaben erhielte der Bauarbeiter eine höhere Rente als die Krankenschwester, da diese im Durchschnitt eine höhere Restlebensdauer aufweist. Denn wie die zweite Grafik zeigt, liegt der Unterschied bezüglich statistischem Sterberisiko bei mehr als nur ein paar Prozent.

Eine etwas ketzerische Frage zum Schluss: Wie müsste man in einem solchen Fall also mit der unterschiedlichen Restlebensdauer zwischen Mann und Frau umgehen? Diese Beispiele zeigen einen Teil der Gründe, wieso die Lebensversicherer zurückhaltend sind mit der Annahme der Langlebigkeitsrisiken. Neue Lösungen sind nötig, um der aktuellen und zukünftigen demografischen Situation gerecht zu werden.

Jürg Niggli, die Mobiliar