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Homeoffice: «Die Schattenseiten wurden sichtbar»

Immer weniger Mitarbeitende arbeiten hauptsächlich im Homeoffice. Warum? Erika Meins, Leiterin des Mobiliar Lab für Analytik an der ETH Zürich, forscht zu verantwortungsvollen digitalen Interaktionen. Der Trend zu weniger Homeoffice überrascht sie nicht.

Eine gewisse Homeoffice-Müdigkeit macht sich unter den KMU breit. In der dritten Studie zu Homeoffice und Cybersicherheit in KMU zeigt sich: Der Anteil an Mitarbeitenden, die hauptsächlich im Homeoffice tätig sind, liegt beinahe wieder auf Vorpandemie-Niveau. Bereits 2021 gingen KMU-Geschäftsleitende davon aus, dass die Anzahl Homeoffice-Arbeitsplätze zurückgehen würde. Dies hat sich nun bewahrheitet:

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Erika Meins, Sie erforschen mit Ihrem Team seit fünf Jahren Interaktionen zwischen Mensch und Maschine. Die aktuelle Studie zeigt einen deutlichen Trend vom Homeoffice zurück ins Büro. Wir sind jetzt bei 12%, die hauptsächlich im Homeoffice arbeiten, gegenüber 38% beim ersten Lockdown. Wie interpretieren Sie dieses Resultat?

Vor der Pandemie war Homeoffice ein Nischenthema. Etwa 10 Prozent der Mitarbeitenden arbeitete von daheim und wenn, dann häufig nur einen Tag. Mit dem Lockdown kam der Riesensprung. Die Unternehmen haben stark davon profitiert. Ohne Homeoffice wäre der wirtschaftliche Einbruch während der Pandemie viel grösser gewesen. Dass der Anteil der Mitarbeitenden im Homeoffice nach jeder Homeoffice-Pflicht gesunken ist, erstaunt mich aber nicht. Der Grund liegt darin, dass neben den vielen Vorteilen auch die Schattenseiten von Homeoffice immer deutlicher zutage getreten sind.

Welche Schattenseiten sind das?

Als Dauerzustand hat Homeoffice seine Grenzen. Physische Erschöpfung, emotionale Leere, bis hin zum Verlust von Raum- und Zeitgefühl – all dies kann bei Mitarbeitenden auftreten, die plötzlich statt im Büro sehr viel oder permanent im Homeoffice sind.

Warum ist das so?

Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es dafür verschiedene Erklärungsansätze: Da ist als erstes die «Zoom-Fatigue», die Erschöpfung nach Videokonferenzen. Sie ist mittlerweile gut erforscht. Unser Gehirn benötigt bei Video-Meetings schlicht mehr Energie, um Informationen aufzunehmen. Denn es gibt kleinste Verzögerungen bei der Übertragung, die zwischenmenschliche Kommunikation ist erschwert und auch das ewige Starren auf den Bildschirm strengt an.

Dann das Multitasking: Man bearbeitet parallel zum Meeting noch schnell ein Mail oder liest Handy-Nachrichten. Machen wir wohl alle. Aber das reduziert paradoxerweise unsere Fähigkeit, zwischen Aufgaben zu wechseln, und schwächt unsere Merk-​ und Leistungsfähigkeit.

Auch fehlen im Homeoffice visuelle Eindrücke, Gerüche und Geräusche, die wir sonst automatisch auf dem Arbeitsweg oder am Arbeitsort haben. Ohne wechselnde sensorische Reize verkommt der Tag zum gefühlten Einheitsbrei, alles gleicht sich, man verliert die Orientierung im Alltag. Auch das senkt die Leistung.

Und als Letztes fehlen die physischen persönlichen Interaktionen bei der Arbeit. Das lässt sich virtuell nur bedingt kompensieren. Soziale Kontakte sind jedoch für unsere mentale und körperliche Gesundheit essenziell. Physische soziale Kontakte haben einen beruhigenden und regulierenden Effekt auf das Nervensystem und helfen, Stress zu reduzieren. Bei Face-to-Face ist auch das Gefühl von sozialer Verbundenheit unter Arbeitskollegen am grössten. Erst danach kommen Videocalls, Telefon und – am untersten Ende – Textnachrichten.

Also sollten alle zurück ins Büro?

Zumindest teilweise. Aber wenn keine physischen Treffen stattfinden können, dann lieber einmal einen virtuellen Videoaustausch initiieren oder zum Telefon greifen, als noch eine Mail oder eine Chatnachricht zu senden. Die vielen digitalen Interaktionsmöglichkeiten sind eine grosse Chance. Aber erst wenn wir sie als Arbeitgeber und -nehmer bewusst und gezielt einsetzen, entsteht ein verantwortungsvoller Einsatz in einer hybriden Arbeitswelt.

Was können Unternehmen tun, um den Nachteilen im Homeoffice entgegenzuwirken?

Allen Unternehmen, speziell auch den KMU, rate ich: Führen Sie mit Ihren Mitarbeitenden einen offenen Dialog. Sie sollten ihre Bedürfnisse kennen. Genauso wichtig ist, dass das Unternehmen seine Erwartungen klar formuliert, zum Beispiel im Hinblick auf Präsenztage und -zeiten. Und was im Homeoffice gilt bezüglich Erreichbarkeit und Freiräumen. Es braucht klare Abmachungen.

Was können Mitarbeitende tun, damit es ihnen im Homeoffice gut geht?

Am wichtigsten ist es, Pausen einzulegen, damit die Leistungsfähigkeit erhalten bleibt. Insbesondere bei langer Bildschirmtätigkeit sollte man in den Pausen andere physische Erlebnisse ermöglichen, rausgehen in die Natur, ein Buch lesen, soziale Kontakte pflegen. Und Schluss mit Multitasking. Es hilft, Mail-​ und andere Benachrichtigungen abzuschalten und nicht benutzte Arbeitsprogramme zu schliessen.

Ein Blick in die Kristallkugel: Wohin geht die Entwicklung?

Homeoffice bleibt, aber ersetzt die Präsenzarbeit nicht. Die beiden Arbeitsformen sollten sich sinnvoll und flexibel ergänzen. So vereinen wir das Beste aus beiden Welten.

Im Gastkommentar in der Neuen Zürcher Zeitung vom 23. Februar 2022 («Home-Office: Da fehlt doch was») behandeln Jasmine Kerr und Erika Meins dieses Thema ausführlicher.

Mobiliar Lab für Analytik an der ETH Zürich

Das Mobiliar Lab für Analytik wurde 2013 von der ETH und der Mobiliar ins Leben gerufen und ist Teil des Gesellschaftsengagements der Mobiliar. Seit der Gründung wurden verschiedene interdisziplinäre Forschungsprojekte an der Schnittstelle von Mensch und Maschine durchgeführt. Das Lab hat sich unter anderem zum Ziel gesetzt, digitale Interaktionen für den Menschen weiter zu verbessern und das Vertrauen in sie zu stärken.