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«Eine Beziehung braucht Pflege»

Sie ist die Sexberaterin des «Blick». Psychologin Caroline Fux findet, dass Geheimnisse vor dem Partner durchaus sein dürfen, und erzählt, warum man rationale Aspekte der Liebe nicht vorschnell ablehnen sollte.  

Brauchen die Leute wirklich Nachhilfe in Sachen Liebe?
Ich denke schon, sonst gäbe es meinen Job nicht (lacht). Liebe und Sexualität beschäftigen die Menschheit, seit es sie gibt. Das zeigen auch die grossen Liebesdramen der Literatur, die sich seit Jahrhunderten diesen Themen widmen. Bis zur Pensionierung muss ich mir um meine Arbeit wohl keine Sorgen machen.

Sie erhalten täglich Fragen zu Liebe, Sex und Partnerschaft. Was für Leute suchen Ihren Rat und was interessiert sie?
Das ist sehr unterschiedlich. Ich habe schon Fragen von 14­Jährigen, aber auch von über 90­Jährigen erhalten. Fragen wie, bin ich normal, wie funktioniert etwas beim Sex oder was tun bei Liebeskummer sind sehr häufig. Fehlende oder ungleich viel Lust auf Sex sind zudem ein Dauerbrenner.  

Gibt es Fragen, die Sie nicht beantworten?
Nein. Aber es gibt Wünsche, die ich nicht erfülle. Zum Beispiel, wenn ich nach meiner Meinung gefragt oder um eine abschliessende Entscheidung gebeten werde. Dann bitte ich die Person, die Frage anders zu formulieren. Als Beraterin beleuchte ich die Sachperspektive. Meine persönliche Meinung ist irrelevant. Es sei denn, die Person hat etwas Verwerfliches vor. Dann beziehe ich natürlich Stellung.

Ärgern Sie sich über gewisse Fragen?
Das nicht. Aber es kommt häufig vor, dass ich mir denke: Wie um Himmels Willen hast du nur denken können, dass diese Aktion gut kommt? Und dann geht mir im selben Moment das Herz ein bisschen auf, weil Blödsinn machen ja etwas sehr Menschliches ist. Wir alle unternehmen hin und wieder unüberlegte Aktionen. So ist das Leben.

Bei welcher Frage dachten Sie sich zuletzt, das kann nicht funktionieren?
Immer, wenn die Leute von ihren Partnern erwarten, dass sie hellsehen können. So eine Situation habe ich gerade heute begleitet. Wie soll man weiterkommen, wenn man nicht über seine Anliegen spricht?

Mit Ihrer Beratung geben Sie den Menschen ein Stück Sicherheit in einer unsicheren Situation. Eigentlich sind Sie auch ein bisschen Versicherung, nicht?
Das hat so noch niemand gesagt, aber das hat etwas. Die Frage ist jedoch, wie viel Sicherheit ich den Menschen wirklich geben kann. Manchmal erwarten Leute, dass ich ihnen eine schwierige Entscheidung abnehme. Ob sie besser mit «Ruedi» oder «Heiri» zusammen sein sollen zum Beispiel. Ich kann sie beim Nachdenken unterstützen. Entscheiden müssen sie aber allein. Die Verantwortung für das eigene Handeln trägt jeder Mensch selber.  

Die meisten Menschen suchen Sicherheit in der Liebe. Helfen Dating­Plattformen, die mit Persönlichkeitstests und Algorithmen arbeiten, den richtigen Partner zu finden? Als Psychologin und Wissenschaftlerin befasse ich mich sehr gern mit diesem Thema. Ich denke schon, dass diese Algorithmen dabei unterstützen, den richtigen Partner zu finden. Auf jeden Fall sollte man nicht vorschnell mathematische und rationale Aspekte der Liebe ablehnen.  

Spüren wir denn nicht selber, wer zu uns passt?
Wir sind schlecht darin, uns selber einzuschätzen. Oftmals jagen wir einer bestimmten Vision nach, die wir im Kopf haben. Aber die passt vielleicht gar nicht zu uns. Aus gut gemachten Persönlichkeitstests können wichtige Erkenntnisse darüber gewonnen werden, ob zwei Menschen zusammenpassen. Beim Test werden auch Aspekte berücksichtigt, die man nicht unbedingt erwartet.  

Das klingt etwas rational und unromantisch. Was ist denn mit der Liebe auf den ersten Blick?
In der Liebe gibt es auf jeden Fall so etwas wie Magie. Viele Menschen sagen ja, dass sie Liebe auf den ersten Blick erlebt und so ihren Partner gefunden haben. Ich denke, eine gelungene Beziehung entsteht aus einer Kombination aus beidem: den Charaktereigenschaften und Einstellungen, die zusammenpassen, und der Chemie, die stimmen muss.  

Lässt sich die Liebe irgendwie absichern?
Es gibt ein grosses Bedürfnis, das zu können. Manche Leute versuchen, ihre Beziehung abzusichern, indem sie einen grossen Akt unternehmen. Schon viele Ehen wurden geschlossen, weil man dachte, so versichern wir unser Glück; und schon manches Kind wurde gezeugt, weil man als Paar näher zusammenwachsen wollte. Ich wage zu bezweifeln, dass diese Aktionen gelingen, wenn sie allein mit dem Hintergedanken unternommen werden, die Beziehung sicherer zu machen. Vergessen wird oft, dass eine Beziehung vor allem Pflege braucht.  

Was genau verstehen Sie unter Beziehungspflege?
Dass beide in die Beziehung investieren. Beispielsweise indem sie sich regelmässig Zeit füreinander nehmen und einander mitteilen, was sie beschäftigt.  

Wie kriegt man diese Beziehungspflege im oft hektischen Alltag hin?
Mit einem fest vereinbarten, wöchentlichen Update. Ich nenne es Paar­Date. An einem fixen Termin erzählt jeder über sich respektive hört dem anderen zu. Ich allein entscheide in meiner Sprechzeit darüber, was ich teilen will. Diese Updates haben einen unglaublich stärkenden und bindenden Charakter. Super finde ich zudem, dass eine Person, die nicht so gerne über sich spricht, auch mal getrost sagen kann: Ich mag jetzt nicht erzählen. Ich erzähle es dir dann beim Paar­Date. Und die andere Person wird dies eher akzeptieren. Z

Muss man in einer Beziehung über alles reden?
Ich bin ein grosser Fan davon, dass man jederzeit Geheimnisse haben darf. Ich muss kein offenes Buch für meinen Partner sein. Allerdings ist, sich regelmässig dem Partner gegenüber zu öffnen und ihm zuzuhören, eine wunderbare Möglichkeit, Nähe und Verbundenheit zu schaffen.  

Lohnt sich Beziehungsarbeit immer?
Auf jeden Fall. Es ist wichtig, sich für die Kernbeziehung einzusetzen, wenn es eine Konkurrenzbeziehung oder andere Konflikte gibt. Sei es nur dafür, um sich später sagen zu können: Doch, ich habe alles probiert. Weil die Zweifel werden früher oder später kommen. Natürlich gibt es aber auch die Möglichkeit, eine Beziehung infrage zu stellen.  

Was tun, wenn man merkt, dass die Beziehung trotz allem Kämpfen, inklusive Paarberatung, auseinanderbricht?
Dann ist es wichtig, die Beziehung mit Anstand aufzulösen. Hin und wieder werde ich nach der Erfolgsquote bei Paarberatungen gefragt. Nur, was heisst Erfolg? Es gibt sehr viele Paare, die sagen, eine gesittete Trennung war für sie ein Erfolg und die Beratung hätte sich gelohnt. Erfolgreich ist eine Paarberatung nicht nur, wenn man zusammenbleibt. Auch ein gemein­ sam durchlebter Abschlussprozess kann auf Dauer sehr heilend sein.  

Werden Beziehungen heute schneller aufgegeben als früher?
Es stimmt sicher, dass wir heute tendenziell eine kleinere Frustrationstoleranz und eine tiefere Bereitschaft haben, Beziehungskrisen auszuhalten. Was nicht heissen soll, dass früher alles besser war. Eine Partnerschaft ist nicht immer nur Freude und rasende Lust. Gerade schwierige Zeiten können jedoch auch eine Chance sein. Meistert ein Paar gemeinsam eine Krise, ist das ein wichtiges Erfolgserlebnis, das zusammenschweisst.

Was halten Sie von der Erwartung, dass der Partner alles für einen sein muss?
Das ist Quatsch. Die Idee, dass der Partner «The One» ist, also enger Vertrauter, bester Freund, passionierter Liebhaber, liebevoller Vater und so weiter, ist ein Phänomen unserer Zeit. All das zusammen kann kein Mensch leisten. Überhaupt sind überhöhte Erwartungen ein garantierter Zufriedenheits­ und Beziehungskiller.

«Vertrauen ist wie eine Pflanze»

 

Was tun, wenn das Vertrauen verletzt ist? Beispielsweise wenn der Partner oder die Partnerin fremdgeht. Ist es möglich, dieses zurückzugewinnen?
Vertrauen ist etwas unglaublich Kostbares. Es ist wie eine Pflanze. Sie wächst nicht schneller, wenn man dran zieht. Man kann Vertrauen nähren und das Pflänzchen düngen. Beispielsweise indem man Nähe schafft oder Kompetenz beweist, über schwierige Themen zu sprechen. Verletztes Vertrauen wiederherstellen ist etwas sehr Schwieriges. Es kann sein, dass Geduld und Pflege helfen, dass alles wieder gut kommt. Es kann sein, dass eine Narbe zurückbleibt oder dass es bei Regenwetter noch weh tut. Möglich ist aber auch, dass man zwar vergeben möchte, es aber einfach nicht geht. Deshalb sind sich Sorge tragen und Fairness in der Beziehung extrem wichtig.

Was raten Sie bei Liebeskummer?
Sich Zeit für sich nehmen. Man war ja ineinander verwachsen. Wenn die Beziehung auseinandergerissen wird, dann blutet es. Da soll man sich nicht wundern. Der Verarbeitungsprozess braucht Zeit. Man soll ruhig trauern und sich mit der vergangenen Beziehung beschäftigen, ohne in der Trauer zu versinken.

Und wenn das Loslassen nicht gelingt?
Gelingt der Trauerprozess nicht, darf man sich auch psychologische Hilfe holen. Meine Erfahrung zeigt, dass häufig der Realitäts­Check hilft. Man überlegt sich: Trauere ich wirklich der Person nach oder habe ich mir eine Vorstellung von dieser Person aufgebaut, die nicht viel mit der Realität zu tun hat? Ein wichtiger Teil meiner Beratung ist, den Menschen in einer für sie dramatischen und unsicheren Situation aufzuzeigen, dass alles ein Prozess ist und das Leben weitergeht. Nicht alles ist so schlimm, wie es aussieht. Und wenn es schlimm ist, dann nicht für immer.

Zur Person

Caroline Fux ist studierte Psychologin, Journalistin und Buchautorin. Bereits während ihres Psychologie-Studiums befasste sie sich intensiv mit den Themen Beziehung und Sexualität als Pfeiler und Motoren des Lebens. 2010 und 2012 realisierte sie für den «Beobachter» die beiden Ratgeber «Was Paare stark macht» und «Guter Sex». 2016 erschien «Das Paar-Date». Seit 2012 beantwortet die 37-Jährige Leserfragen zu Liebe, Sex und Partnerschaft im «Blick». In ihrer Kolumne «Fux über Sex» wird jeweils ein Teil dieser Fragen publiziert.